Folge 2 - 15 Uhr ist gleich 15 Uhr, richtig?
- Jessica Bartz
- 27. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Pünktlichkeit – ein Thema, das in Deutschland fast schon eine Tugend ist. Dass diese Haltung nicht überall auf der Welt gleichermaßen ernst genommen wird, durfte ich selbst auf eine sehr charmante Weise erleben.
Vor einiger Zeit hatte ich ein Zoom-Meeting mit einer italienischen Recruiterin vereinbart. Das Treffen sollte um 15:00 Uhr stattfinden. Wie ich es gewohnt bin, war ich natürlich bereits zehn Minuten vorher bereit: Mein Schreibtisch aufgeräumt, der Zoom-Link geöffnet, Kamera und Mikrofon überprüft, Notizen zur Hand.
Als die Uhr 15:00 schlug, saß ich erwartungsvoll vor dem Bildschirm. Doch der virtuelle Meetingraum blieb leer.
Zunächst dachte ich mir nicht viel dabei. Vielleicht gab es technische Probleme?
Um 15:05 Uhr begann ich, unruhig zu werden.
Bei 15:10 Uhr schrieb ich eine höfliche Nachricht:
„Hallo, unser Meeting war für 15:00 Uhr geplant. Findet es wie besprochen statt?“
Wenige Minuten später erschien sie dann online. Sie begrüßte mich herzlich und entspannt, als wäre nichts passiert. Mit einem Lächeln erklärte sie, dass es in Italien üblich sei, bei Terminen eine gewisse Flexibilität einzubauen. Ein Termin um 15:00 Uhr bedeute nicht zwingend, dass man exakt zu dieser Uhrzeit erscheinen müsse – oft werde eine gewisse Toleranz als normal angesehen.
Für sie war unser Gespräch eher ein lockeres Kennenlernen und noch kein streng formelles Businessmeeting. In diesem Rahmen sei es ganz üblich, die Zeit nicht auf die Minute genau zu nehmen. scherzte sogar ein wenig über die sogenannte „Italian time“ – eine charmante Umschreibung für diese entspannte Haltung gegenüber der Zeit.
Ich musste schmunzeln. Natürlich war ich im ersten Moment irritiert gewesen – in Deutschland gilt Pünktlichkeit als Zeichen von Professionalität und Respekt. Aber gleichzeitig erkannte ich, dass diese Situation keine Respektlosigkeit bedeutete, sondern einfach Ausdruck einer anderen kulturellen Gewohnheit war.
Mit einem Augenzwinkern versprach sie:
„Beim nächsten Mal komme ich etwas pünktlicher.“
Unser Gespräch verlief dann sehr angenehm. Wir lachten viel und sprachen offen über das geplante Projekt. Ihre lockere, warme Art half, die anfängliche Irritation schnell zu vergessen.
Einige Wochen später stellte mich diese Recruiterin dem CEO der Firma vor, bei der ich mich beworben hatte. Bei der Vorstellung erwähnte sie schmunzelnd meine deutsche Pünktlichkeit – und betonte gleichzeitig, wie angenehm und unkompliziert die Kommunikation mit mir verlaufen war.
Dieses kleine Detail – meine Pünktlichkeit – wurde sogar positiv hervorgehoben. Es zeigte mir noch einmal, wie sehr kleine kulturelle Eigenschaften im internationalen Geschäft bemerkt und sogar geschätzt werden können.
Später sprach ich noch mit anderen italienischen Kollegen über dieses Erlebnis. Sie erklärten mir, dass bei rein geschäftlichen, wichtigen Meetings auch in Italien Wert auf Pünktlichkeit gelegt wird. Die lockere Haltung betrifft eher freundschaftliche Treffen oder erste unverbindliche Kennenlern-Gespräche. In unserem Fall handelte es sich also um eine Grauzone: halb Business, halb entspanntes Kennenlernen.
Im Rückblick bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung. Sie hat meinen Blick für kulturelle Unterschiede geschärft – und mir gezeigt, dass Professionalität und Verständnis nicht immer an eine feste Minutenregel gebunden sein müssen. Manchmal öffnet uns eine kleine Verzögerung die Tür zu mehr Toleranz, Humor und menschlicher Nähe.
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